Endlich ist es soweit. „Oi Amerike! Joe Fleisch presents Yiddish and Non-Yiddish songs from the past, revisited by ElektroYid and the Jewish Monkeys“. Mit dieser Veröffentlichung wagt Joe Fleisch den Schritt in eine breitere  Öffentlichkeit. Die Single-Release seiner ersten EP ist eine Wiederauflage eines amerikanisch-jiddischen Einwanderer-Lieds aus den 20er Jahren: "What can you mach, sis is Amerike", komponiert von Sholem Seconda und im Original gesungen vom legendären Aaron Lebedeff. Der altmodische Humor einer längst vergessenen Zeit klagt über die jungen Frauen, die tatsächlich schwanger werden, BEVOR sie verlobt sind, statt - wie es sich gehört und in der alten osteuropäischen Heimat Sitte war - zuerst zu heiraten und dann innerhalb Jahresfrist ein Kind zu bekommen. Und nicht nur das. Hier "in Amerike", schnitten sich Juden ihre Bärte und Schläfenlocken ab, sähen also am Ende aus wie die Goiim (Nicht-Juden auf Jiddisch). Aber - so raisoniert der Refrain - "What can you mach, sis is Amerike" (Was soll man machen? Dies ist Amerika).
Nach 80 Jahren sozusagen von der Generation der Enkel wiederentdeckt, hat das neue Line-Up ELEKTRO-YID von Joe Fleisch und DJ-Shotnez Ori Kaplan (Saxophonist, Komponist und einer der Produzenten von BalkanBeatBox) sich dieser alten Ballade angenommen und sie als funky Dancefloor-Remake zu neuem Leben erweckt.

Inspiriert wurden die beiden von "KosherNostra", der im Mai dieses Jahres von Oz Almog und Shantel bei dessen Frankfurter Label EssayRecordings erschienenen Compilation mit jüdisch beeinflusster Musik aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts; eine Auswahl von Songs, welche die jüdisch-amerikanischen Gangster damals vermutlich am liebsten hörten.

Joe Fleisch verbindet eine innige Freundschaft mit Shantel, er bewundert und verehrt dessen Werk, seine EP „Oi Amerike“ ist eine künstlerische Weiterentwicklung von „Kosher Nostra“. Neben der besagten Single finden wir dort zwei zusätzliche Cover-Versionen seiner Tel-Aviver Band JEWISH MONKEYS. Es ist dies ein burleskes, urkomisches, auf Englisch, aber auch manchmal Jiddisch musizierendes Gesangstrio, das eigentliche Zuhause des Joe Fleisch alias Jossi Reich, wie er mit bürgerlichen Namen heißt, ein ehemaliger Frankfurter, der seit 14 Jahren mit seiner Familie in Israel lebt.  

„Black but sweet“,  einer der Klassiker des großen WILMOTH HOUDINI, ist, wie gesagt, auch auf der „Kosher Nostra“ wiederzufinden. Shantels dem nachempfundener Buccovina-Track, ein Balkan-Gypsy-Verschnitt vom Allerfeinsten, provozierte ab 2004 in den europäischen Clubs jahrelang ekstatisch-hüpfende Tanzkapriolen, und – eine meisterliche Cover-Produktion der JEWISH MONKEYS. Indem sie für den instrumentellen Hintergrund, wie für die meisten ihrer Werke, die Tel-Aviver Gitarren-Surf-Band „BoomPam“ in Beschlag nahmen, ließen sie das Liebeslied des WILMOTH HOUDINI wiederauferstehen. Etwas weniger wehmütig, jedoch um einiges lebensfroher als im Original, wird dieses facettenreiche Stück, das bei ihren Konzerten nicht weniger Begeisterung hervorrief als Shantels Buccovina-Vorlage, im Finale von Joe Fleisch mit einer geradezu tollwütig-jaulenden Klezmer-Parodie abgerundet.

„Black but sweet“ von der aus Trinidad und Tabago stammenden und 1977 in NY verstorbenen Calypso-Legende (der mit bürgerlichen Namen Frederick Wilmoth Hendricks hieß und u.a solche Künstler wie DIZZY GILESPIE oder auch ELLA FITZGERALD maßgeblich beeinflusst hat), wurde in der Vergangenheit nicht nur von Shantel, sondern auch von so illustren Künstlern wie Mighty Dub Kats, Sabres of Paradise ("Wilmot") und Eleftheria Arvanitaki ("Den milo ghia mia nychta ego") gecovert.

Ist es Prahlerei, wenn Joe Fleisch behauptet, der rauchig-rockige-Klezmer-Punk seiner JEWISH MONKEYS erhebe „Black but sweet“ in neue, ungeahnte Höhen? Es sei dies allerspätestens dem Urteil der Nachwelt überlassen.   

Die JEWISH MONKEYS, so wird es zumindest auf ihrer myspace-Website erzählt, entstanden eigentlich bereits in den 70er Jahren, als sich Dr. Boiko und Joe Fleisch im Knabenchor der Frankfurter Synagoge kennenlernten und lebenslange Freundschaft schlossen (naturgemäß noch lange bevor Ersterer sich einen Doktortitel in Veterinärmedizin aneignete und Jossi Reich das fleischige Künstler-Pseudonym Joe Fleisch). Drei Jahrzehnte später, nunmehr bereits verheiratet und mit Kindern gesegnet und wie der jüdische Zufall es wollte, längst nach Palästina – Verzeihung – nach Israel emigriert, formierten sie sich in einem Alter, wo man sowas eigentlich nicht mehr macht, mit einem Dritten im Bunde zu einer Band. Der in Belgien aufgewachsene Gael Seidner, ein begnadeter Sänger-Performer und Psycho-Coach (ja, es gibt diesen Beruf) beweist sein komödiantisches Ur-Talent auf YouTube, im JEWISH MONKEYS-Clip „Banana Boat“, eine anarchische Persiflage auf die Starrköpfigkeit des Nah-Ost-Konflikts.

Undenkbar wären die JEWISH MONKEYS ohne ihren Musikproduzenten, den Theater- und Filmmusik-Komponisten Ran Bagno, der sie bei manchen ihrer Konzerte am Akkordeon begleitet. Über die Jahre hinweg bewaffnete sich das herrlich respektlose Gesangstrio mit einem zunehmend Marx-Brothers-artigen Sinn für Unsinn, politisch höchst unkorrekten Texten und eigenen Song-Kreationen (die allesamt Dr. Boiko, das Creative Mastermind schreibt und komponiert). Ihre CD wird wahrscheinlich spätestens 2013 bei EssayRecordings erscheinen. Das Cover-Release existiert bereits. Der zweite JEWISH MONKEYS – Clip auf YouTube, „Caravan Petrol“, ist ein Remake des gleichnamigen Hits von Renato Carosone,  (dessen „Tu vuo fa l´americano“ der Cover-Mega-Hit des Sommers 2010 hergab).  Dr. Boiko machte aus dem ursprünglichen „Caravon Petrol“ eine Parodie auf die wegen unserer Habgier immer noch nicht richtig in Gang gekommene Solar-Revolution.

Mit „Miserlou“, dem dritten Cover auf „Oi Amerike“ wagen sich die JEWISH MONKEYS an einen wahren Klassiker der Musikgeschichte mit griechischen Wurzeln, der aber weltweit schon so lange beliebt ist, dass viele Menschen von Marokko bis Irak behaupten, es sei ein Volkslied aus dem eigenen Land.

Hunderte von Aufnahmen wurden bisher gemacht, von so unterschiedlichen Künstlern wie Agent Orange und Connie Francis (1965). Im Jahr 1994 wurde die Dale Version von "Miserlou" auf dem Soundtrack des Films Pulp Fiction benutzt, dank eines Vorschlags des Quentin-Tarantino-Freunds Boyd Rice. Im März 2005 stellte das Q-Magazin aus England die Dale-Version auf Platz 89 in seiner Liste der 100 Greatest Guitar Tracks“. Im Jahr 2006 gewann seine Version wieder an Popularität, dieses Mal als Grundlage für die „Black Eyed Peas"-Single „Pump it". Auch im Jahr 2006 war eine Cover der Dale-Version als spielbarer Titel Teil der Guitar Hero II Spiels (??).

Die JEWISH MONKEYS experimentieren bereits seit Jahren mit der jiddischen Version von „Miserlou“, die in den 30er Jahren in direkter Übersetzung des griechischen Originals entstand und die wundervolle Wüstenprinzessin besingt, die dem Verliebten „dus Harz farbrennt“. Auf der „Kosher Nostra“ finden wir eine englischsprachige Miserlou-Interpretation des legendären Twister Chubby Checker. Aber nicht genug damit. Vladimir Lomberg, Erfinder und Produzent der JEW-RHYTHMICS, eines experimentierfreudigen und eigenwilligen Ensemble, welches ItaloDisco mit traditionellen jiddischen Volksliedern kombiniert, featured Joe Fleisch in einer Disco-Version des jiddischen „Miserlou“. In einem sorgfältig und aufwändig produzierten Video erleben wir Joe Fleisch in seiner Lieblingsfunktion – als ein sich den Liebeskummer von der Seele tanzend-singender Möchtegern-Schamane (auf YouTube bereits zu besichtigen, die JEWRHYTHMICS-CD kommt voraussichtlich Anfang 2012 bei EssayRecordings raus).

Die beiden zusätzlichen Remixe des Berliner DJs, Produzenten und Label-Inhaber Daniel Haaksmann lassen „Black but sweet“ und „What can you mach, sis is Amerike“  in einem kontrastreichen, tanzbaren, urbanen und elektronischen Gewand erscheinen. Ein gelungener Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne, wie er im kreativen Umfeld des Joe Fleisch nun einmal die Regel ist.

Joe Fleisch arbeitet bereits an seiner nächsten EP. Unter anderem unternimmt er dabei mit der zwischen Tel-Aviv und London pendelnden Elektro-Pop-Sängerin Emily Karpel den Versuch zwei Schlager der Neuen Deutschen Welle ins Jiddische umzuwandeln. Aus dem gequält-sehnsüchtigen „Eisbär“-Song wird ein noch etwas sehnsüchtigerer „Waisser Ber“, und das weltbekannte, monotone Anti-Liebeslied „DaDaDa - Ich lieb Dich nicht, Du liebst mich nicht“,  verdreht er ins Gegenteil zum ungleich romantischeren, lebens- bzw. Liebes-bejahenderen „DaiDaiDai -Ich hob Dech lieb, Du host mech lieb“. Emily und Joe, jiddische Erotik a la Birkin und Gainsburg? Eventuell.

Sei es Tel Aviv, Frankfurt, Berlin oder London, begleitet man Joe Fleisch zu den Werkstätten seines global village, spürt man wie sehr Levys Rye Breads berühmte Feststellung "Sie müssen nicht jüdisch sein, um Klezmer zu lieben!" in Zeiten des weltweit umspannenden kreativen Austauschs mehr denn ja an Sinn gewinnt, auch wenn JOE FLEISCH kein Klezmer-Musiker ist, sondern ein Künstler, der bei der Suche nach Faszination am liebsten auf Jiddisch singt, der Sprache seiner polnisch-jüdischen Eltern, die nach dem Holocaust ausgerechnet in Deutschland ein neues Zuhause fanden.